Action Theater

Die Entstehungsgeschichte des AT ist eng verknüpft mit der Protest- und Emanzipationsbewegung der 1970er Jahre, vor allem in Kalifornien, mit dem Ziel des Abbaus von Hierarchien, Rassen- und Geschlechterdiskriminierung. Viele Künstler engagierten sich in der Bürgerrechtsbewegung; die Trennung von Kunst und Leben sollte aufgehoben werden. Die von Ruth Zaporah in einem Zeitraum von zwanzig Jahren entwickelte Methodik des AT hat hier ihre Wurzeln, auch ihren Bezug zu Praxisformen des Zen-Buddhismus (Meditation, Prinzip der Achtsamkeit, ,sensory awareness‘) und den in der ,growth‘-Bewegung der humanistischen Psychologie entwickelten Strategien zur Freisetzung emotionaler Blockierungen im spontanen  ,Acting  out‘  (Gestalttherapie Psychodrama) sowie Methoden der Improvisation. Aufgrund der afrikanischen Wurzeln nordamerikanischer Kultur sind sie seit jeher elementarer Baustein ihrer ästhetischen Praxis. Zaporah hat „das Rad neu erfunden“ (Zaporah 20) in ihrem originären Entwurf eines körperorientierten ‚Impro-Theaters‘. Gleichzeitig steht sie in der Tradition der Performance-Bewegung mit der Forderung spontaner Präsenz auf der Bühne, etwas ‚wie in Trance‘ geschehen lassen und doch in großer Bewusstheit im Kontakt zum Publikum. AT basiert auf dieser Spontaneität, die von der Plötzlichkeit des Entstehenden lebt, auch weil die Grenzen klar gesetzt sind; eine Offenheit für den Moment des Improvisierens im Leben wie in der Kunst. Die im Vorbewussten gespeicherten Erinnerungsspuren, dem Körper eingeschriebene Erfahrungen werden für Zaporah zum didaktischen Material für ihren methodisch klar strukturierten Ausbildungskatalog: von der Körpererfahrung zur Arbeit an Vorstellungsbildern, Wahrnehmungsvorgängen, Ausdrucksfähigkeit. Ihre Konzeption einer gleichberechtigten Handhabung von Bewegung, Stimme und Sprache in klar gegliederten Ordnungssystemen von Zeit, Raum und Form dient als Orientierungsrahmen zum Erwerb grundlegender improvisatorischer Kompetenz und Fähigkeit, im Hier und Jetzt der theatralen Aktion präsent zu sein; eine wichtige Ergänzung zu Keith Johnstones ‚Impro-Theater‘, weil AT vom persönlichen Material der Spieler ausgehend Erfahrungswissen über das sozialer Rollen hinaus zum Thema setzt. Seien es nun Stoffe aus der Natur (Pflanzen, Mineralien, die vier Elemente) als Vorlage für Bewegungs-Impros oder technische Vorgänge (Elektrizität, Maschinen, Räder), ihre körpersprachliche Umsetzung ist der Beginn eines komplexen Spiels vom Entwickeln (development) zur Verkörperung (transformation), unterbrochen von neuer Impuls-Setzung (shifting), wiederum Ausgangspunkt eines neuen Körperbildes. Diese Prinzipien sind auch anwendbar auf die Arbeit mit Stimme und/oder Bewegung/Sprache, allein oder in Beziehung zu Partnern, dem Raum und dem Publikum mit ,shifting‘, abrupten Ab- und Umbrüchen, als Dreh- und Angelpunkt des Systems sowie Methoden des Dekonstruierens habitueller Attituden, konventioneller Clichés, entweder ironisch ausgestellt oder nach analytischem Zergliedern Montage neu zusammengesetzter Körper- und Sprachzeichen zu eigenwilligen Kompositionen, wiederum Probehandeln, auch im Akt der theatralen Präsentation.

Zaporah, Ruth: Action Theater. The Improvisation of the Presence. Berkeley 1995.

BARBARA RÜSTER

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