Amateurtheaterfestivals in Ostdeutschland

In den sowjetisch besetzten Gebieten Deutschlands entwickelten sich bereits wenige Monate nach Kriegsende trotz desolater Situation (Verlust von Künstlern und Kulturschaffenden, zerstörte Kultureinrichtungen und wirtschaftliche Not) ein beachtliches Kulturleben und eine große Vielfalt künstlerischen Laienschaffens. Mit der Zulassung antifaschistischer politischer Parteien und Massenorganisationen durch die sowjetischen Besatzungsbehörden wurden Entwicklungen ermöglicht und in Gang gesetzt, die auf eine sog. antifaschistisch-demokratische Erneuerung der deutschen Kultur und auf die Überwindung der Benachteiligung breiter Bevölkerungsteile beim Zugang zu Kunst und Kultur zielten.

Neben den unmittelbaren Impulsen durch die sowjetischen Besatzungsorgane (z. B. Gastspiele sowjetischer Kultur- und Laiengruppen, Gründung von Kulturhäusern insbesondere bei den sowjetisch verwalteten Industriebetrieben und bevorzugter Bereitstellung von Ressourcen für die Wiederinbetriebnahme zerstörter Theater und anderer Kulturstätten) entwarfen auch die neuen deutschen Verwaltungen, die verschiedenen Parteien und neue Organisationen wie der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB), die Freie Deutsche Jugend (FDJ), der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, der Bund deutscher Volksbühnen Konzepte, die dem Laienspiel neue Orientierung geben sollten. Neben dem aus der Sowjetunion übernommenen und an der Theatermethode Stanislawskis orientierten Programm der ,Dramatischen Zirkel‘ inspirierten zahlreiche aus der Emigration zurückgekehrte Künstler, z. B. Bertolt Brecht, Friedrich Wolf, Erich Weinert, zur Rückbesinnung auf proletarische Theatertraditionen vor 1933, was auch zu einer Wiederbelebung des Agitprop-Theaters führte. Die Repertoiresituation war dagegen eher dürftig, wenn man von den die NS-Zeit überdauernden heimattümelnden Spielangeboten aus Vorkriegszeiten absah. Das konnte das verdienstvolle Wirken verschiedener Verlage, darunter auch des Hoffmeister-Verlages in Leipzig, wenig abmildern.

Die teilweise divergierenden Interessen und Theaterkonzepte der gesellschaftlichen Mäzenaten des Laienspiels und der Mangel an adäquater Spielliteratur beförderten eine lebhafte Diskussion über die Wege des Laienspiels und eine große Nachfrage nach neuen Projekten. In diesem Klima, das auf Austausch drängte, wurden Theatertreffen und -leistungsschauen, also Festivals der unterschiedlichsten Form, zum wichtigsten Instrument vor allem für die Amateure selbst.

Die Abgrenzung von anderen Formen des künstlerischen Laienschaffens fand erstmalig in einem vom FDJ-Landesverband Thüringen im November 1946 organisierten ,Laienspielwettbewerb des Landes Thüringen‘ seinen Ausdruck. Es folgten rasch ähnliche Treffen in anderen Ländern der SBZ sowie in den Bereichen der Teilgewerkschaften im FDGB (z.B. Eisenbahner, Lehrer, Postangestellte, Bergbau). Im Gründungsmonat der DDR (Oktober 1949) veranstaltete die Zentralstelle für Volkskunst die ersten zentralen Volkskunsttage, an denen Laienspieler aus allen Ländern der DDR teilnahmen. Im Juli 1952 fanden in Berlin die ersten deutschen ,Festspiele der Volkskunst‘ statt, an denen auch – im Rahmen des bis Mitte der 1950er   Jahre   noch   bestehenden gesamtdeutschen

,Laienspielausschusses‘ – Laientheater und Kabarettgruppen aus der BRD mitwirkten. Am ,Tag des deutschen Laienspiels‘ im Oktober 1955 in Schwerin nahmen 700 Amateure aus der DDR und 550 aus der BRD teil. Am zweiten Tag des deutschen Laienspiels‘ im April 1958, wiederum in Schwerin, waren westdeutsche Amateure nicht mehr vertreten.

Die unterschiedlichen Formen des Laienspiels (Theater, Kabarett, aber auch Pantomime, Puppentheater und Bühnentanz) begannen, sich auch in fachspezifischen Festivals und Werkstattveranstaltungen auszudrücken. Eine nicht unerhebliche Rolle spielte dabei die Tendenz sehr vieler Laienspielgruppen, in Nachahmung des Berufstheaters dem ,großen Stück‘ den Vorzug zu geben. In der sich verschärfenden Auseinandersetzung zwischen der DDR und der BRD im Rahmen des Kalten Krieges und bei der operativen Lösung von Problemen innerhalb der DDR wurden im politisch-satirischen Kabarett Möglichkeiten künstlerischer Agitation vermutet. Aber auch bei den Theatergruppen selbst setzte mit der Gründung des ersten > Arbeitertheaters der DDR im Dezember 1958 an der Warnow-Werft Warnemünde, das anlässlich des 40. Jahrestages der Gründung der KPD mit der Inszenierung von Friedrich Wolfs Die Matrosen von Cattaro hervorgetreten war, eine stärkere Orientierung auf politisches Theater ein. Dem Beispiel der WarnowWerft folgten in den nächsten drei bis vier Jahren annähernd 140 Laienspielgruppen, hauptsächlich aus Produktionsbetrieben.

Im Juni 1959 fanden unter Federführung des FDGB die ,1. Arbeiterfestspiele der DDR‘ statt. Konzipiert als ‚nationale Leistungsschau der kulturschöpferischen Kräfte des Volkes und insbesondere der Arbeiterklasse‘ wurden sie zum bedeutendsten Festival des künstlerischen Amateurschaffens aller Genres. In den Bezirken der DDR wurden in Vorbereitung der Arbeiterfestspiele eigene Festivals organisiert, die unter Bezeichnungen wie ,Theaterernte‘ und ,Theaterfest‘ bald zur Tradition wurden. Die in den ersten Jahren der Arbeiterfestspiele wenig oder nicht berücksichtigten Bereiche, z. B. Studententheater und -kabaretts, die sorbischen Theatergruppen, die niederdeutschen Bühnen der Nordbezirke der DDR sowie Pantomimegruppen und Puppentheater, organisierten zunächst ihre eigenen nationalen Festivals. Im Laufe der Jahre wurden sie immer mehr in die Arbeiterfestspiele einbezogen.

Die Jahre nach dem Mauerbau (1961) gingen in der DDR einher mit vermehrtem Wohlstand der Bürger, der raschen Verbreitung des Fernsehens, rückläufigen Besucherzahlen in Theatern und Konzerten und wachsenden Ansprüchen an die Qualität künstlerischer, auch volkskünstlerischer Leistungen. Bei den Amateurgruppen zeigte sich das einerseits in Form intensiverer Zusammenarbeit mit Berufskünstlern, andererseits aber auch in dem Bestreben, den Austausch zwischen den Gruppen zu erweitern. Die Einführung zentraler Leistungsvergleiche  auf  den  Gebieten  des  Amateurtheaters und des Amateurkabaretts mit ausdrücklichem ,Werkstattcharakter‘ in Vorbereitung der Arbeiterfestspiele trug diesem Anliegen Rechnung. Schon diese Treffen, an denen bis zu 2 000 Amateure beteiligt waren, fanden großen Zuspruch bei den Teilnehmern und auch bei den Besuchern der  Aufführungen.

Mit Beginn der 1970er Jahre wurden darüber hinaus ,Wochen der Arbeitertheater‘ und ,Tage des Kabaretts‘ fester Bestandteil der Arbeiterfestspiele selbst. Als ,Festival im Festival‘ wurde es zum nationalen Höhepunkt der Amateurkünstler. Mit Unterstützung namhafter Institutionen der Berufskunst – Theatern und Kabaretts, der Schauspielschule Berlin, dem Regieinstitut Berlin, der Theaterhochschule Leipzig sowie weiteren Hochschulen und Universitäten – wurden sie in ihrem Werkstattcharakter ausgebaut und nahmen als Insiderforum der Akteure qualitativ neue Formen demokratischer Selbstverständigung an.

Mit dem Ende der DDR fanden auch die Arbeiterfestspiele ein Ende und viele Gruppen lösten sich auf, vor allem solche, die die materielle Unterstützung durch die sie tragenden Betriebe verloren hatten.

Chronik des künstlerischen Volksschaffens 1945–1951 [Jahrbuch 1970]. Hg. v. Institut für Volkskunstforschung beim Zentralhaus für Kulturarbeit Leipzig. Leipzig 1970; Dass. 1952–1957  [Jahrbuch  1969].  Hg.  ebd.;  Dass. 1958–1962

[Jahrbuch 1968, Teil 1 u. 2]. Hg. ebd.; Dass. 1963–1966 [Jahrbuch 1966]. Hg. ebd.; Dass. 1973–1974. 2 Bde. Hg. v. Zentralhaus für Kulturarbeit. Leipzig 1976; Die Arbeiterfestspiele der DDR. Dokumentation. Hg. Gewerkschaftshochschule ,Fritz Heckert‘ beim Bundesvorstand des FDGB. Bernau 1983; Schrader, Bärbel: Entwicklungsprobleme des Arbeitertheaters in der DDR. Dissertation. Berlin  1977.

RAINER SCHRADER

Festival der Amateur- und Schultheater – Kultursozialarbeit – Schultheater – Theaterarbeit in sozialen Feldern