Bühnenbild

Bei B handelt sich um die Gestaltung von Bühnenräumen, daher ist die Bezeichnung ,Bühnenbild‘ eigentlich falsch. Der Leiter des Russischen Balletts Sergej Diaghilew verpflichtete Maler für die Gestaltung der Bühne. Oskar Schlemmer stellte fest, dass eigentlich nur Max Ernst auf den Raum der Bühne wirklich eingegangen ist. Schlemmer untersucht diesen Raum, beschreibt sein Kräftefeld durch ein Liniennetz, das die unterschiedlichen Wertigkeiten der Bühnenorte bewusst macht (vgl. Schlemmer). So ist die ausgewogene Mitte gewichtiger als ein Ort an der Bühnenseite. Diesen Bühnenraum gestaltet der Bühnenbildner mit seinen Mitteln, den Formen, Farben und dem Licht. Er dynamisiert den Raum oder beruhigt ihn, er lässt ihn flüchtig erscheinen oder gesichert.

Um dieses Kräftefeld zu ergründen, kann in einem leeren schwarzen Bühnenraum experimentiert werden, indem Weniges hineingestellt wird, z. B. eine Latte oder eine schmale Wand. Wie teilen sie den Raum? Wie verhält sich ein Spieler in den Raumsegmenten? Welche Haltungen nimmt er ein? Welchen Einfluss haben diese Haltungen auf die Dynamik des Bühnenraumes? Es ist viel Zeit nötig, um den Raum als Spielort kennen zu lernen.

Ein Spielraum ist nicht, er geschieht: Das B ist kein Bild, sondern ein Vorgang: Zum Bühnenspiel gehört die Dimension Zeit. Der Bühnenbildner hat sich mit der dramaturgischen Entwicklung des Stückes auseinander zu setzen. Es kann in den Veränderungen des Raumes der Dramaturgie folgen oder ein Gegengewicht bilden. Um räumliche Situationen und Entwicklungen zu erproben, kann im Modell mit schmalen Wänden gearbeitet werden, abgeleitet von Craigs screens (vgl. Bablet). Normpodeste von 1 m x 2 m und Wände von 1 m x 2,50 m sind geeignet, um Räume gut zu entwickeln. Um sie aufstellen zu können, sind sie mit Bühnenscharnieren verbunden. Die Arbeit mit dem Modell ist thp hilfreich, weil sie schnelle Entscheidungen erlaubt. Gegenüber der Skizze stellt das Modell die Raumsituation sehr viel konkreter dar.

Das B soll dem Spieler Spielmöglichkeiten eröffnen: Schon Adolphe Appia erkundete in seiner Zusammenarbeit mit  Émile  Jaques-Dalcroze  die  Beeinflussung  der Bewegung durch Podeste (vgl. Appia). Die russischen Futuristen und Konstruktivisten bauten Spielgerüste – z.B. Liubov Popowas Bühnenbild zu Wsewolod Meyerholds Inszenierung ‚Der großmütige Hahnrei‘, die sie ,nackt‘ in den Raum stellten, ohne sie durch Lokalkolorit zu verkleiden. Es sind funktionale Gerüste, die für die Choreographie des Stückes und für die Platzierung der Spieler auf verschiedenen Raumebenen geschaffen wurden.

Schlemmer untersuchte in seinem Kulissentanz Podeste in ihren Funktionen als Grenze, als Platz zum Sitzen, als Ort zum Lagern und Wände in ihrer Funktion des Verdeckens, des Täuschens und als überraschende Auftrittsmöglichkeit. Podeste, Treppen und Wände geben den Spielern Möglichkeiten für Bewegungen und Haltungen (vgl. Schlemmer).

Das B sollte SpielerInnen optisch stützen: Sie können vom Bild ,erschlagen‘ werden, übertönt von Farben und Formen; sie können aber auch herausgestellt werden. Der dunkle Spieler vor der hellen Wand, der helle Spieler vor einem leeren dunklen Raum. Durch das Bild lassen sich Orte unterschiedlicher Wertigkeit und Spannung herstellen. Die Beziehung von Kostüm und Bild ist dabei sehr wesentlich.

Das Licht ist ein entscheidendes Gestaltungsmittel für die Bühne: Schon Edward Gordon Craig zeigte 1905, wie zu dem gleichen Szenenbild Die Treppe durch unterschiedliches Licht völlig gegensätzliche Szenerien entstehen. Licht schafft Atmosphäre, Licht betont, isoliert und verbindet (vgl. Bablet).

Alles, was auf der Bühne steht, hat eine Bedeutung: Jeder Stuhl – und der Stuhl ist nur ein Beispiel – erzählt eine Geschichte durch seine Gestalt: rund oder eckig, dünn oder kompakt, modern oder alt; durch die Materialien mit denen er gebaut wurde: Holz, Metall oder Plastik; durch seine Farbe: sanft oder aggressiv, warm oder kalt; durch seine Oberfläche: weich oder hart, einfarbig oder gemustert und durch seinen Zustand: neu oder alt, geschont oder verschlissen. Seine Geschichte wird deutlich, wenn alles auf der Bühne bewusst eingesetzt wird, d.h. wenn die anderen Gegenstände auf der Bühne die Geschichte dieses Stuhls unterstützen oder auch kontrastieren.

Aber nicht nur der Stuhl erzählt, sondern auch seine Stellung im Raum und das Miteinander der Gegenstände im Raum. Der Stuhl erzählt etwas über den Spieler, dem er ‚gehört‘, über die Situation, die gespielt wird.

Das Bühnenbild sollte in einem Zusammenhang mit der Spielergruppe stehen: Wenn Grundschüler ein Stück aufführen wollen, sollte der Spielleiter überlegen, wie er die großartigen bildnerischen Möglichkeiten der Kinder für die Gestaltung des Spielraums und der Kostüme nutzen kann. „Die Bühne ist ein großer Spiegel uns gegenüber, in dem wir über uns lesen. Gleichnis, Spiegelung der Welt, Bei-Spiel. Nicht Interpretation, nicht Illustration, nicht Illusion, nicht Imitation der Welt, sondern höchstens Theater. Gutes Theater aber ist eine Welt, kein Ausschnitt von Welt“ (Freyer zit. n. Simhandl 143).

Appia, Adolphe: Darsteller, Licht, Raum, Malerei. In: Lazarowicz, a.a.O.; Bablet, Denis: Edward Gordon Craig. Köln 1965; Lazarowicz, Klaus/Balme, Christopher (Hg.): Texte zur Theorie des Theaters. Stuttgart 1991; Schlemmer, Oskar: Die Bauhausbühne. In: Lazarowicz, a.a.O.; Simhandl, Peter: Bildertheater. Berlin 1993.

PETER STEINEKE

Bildertheater – Konstruktivismus