Feministische Theaterpädagogik

Unter FT werden seit Mitte der 1980er Jahre thp Projekte von Frauen für Mädchen und Frauen verstanden. Die Arbeit bewegt sich im Spannungsfeld von feministischer (fem.) Sozial-/Kulturarbeit, Pädagogik/Bildungsarbeit und Kunst, definiert sich parteilich im Interesse der Frauen und Mädchen.

Das Adjektiv feministisch verweist auf eine kritische Perspektive in der Analyse des Geschlechterverhältnisses. Stereotype Rollenzuweisungen gelten als politisch-kulturelle Mechanismen zur Vereinseitigung und Unterordnung der Frauen im Interesse der Männer. FT stützte sich auf die Ergebnisse der Frauenforschung, die unter dem Einfluss der neuen deutschen Frauenbewegung und ihrer Forderung nach Emanzipation besonderes Augenmerk auf die Sozialisationswirkungen durch Schule (vgl. Schultz) und Sozialarbeit (vgl. Becker-Schmidt u.a.) legten. Der Terminus feministisch wird heute in Forschung und Praxis zunehmend durch den umfassenderen Gender-Begriff ersetzt, mit dem die Kategorie Geschlecht als soziales Konstrukt  gedacht wird (vgl. Butler 1990; 1993) – damit verändern sich auch die epistemologischen Voraussetzungen für die thp Arbeit.

Fem. Forschungen der 1960er/70er Jahre zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen (vgl. Bovenschen) des Weiblichen auch in der Bühnenkunst (vgl. Möhrmann) zeigten das Mädchen-/Frauenbild als Zerrspiegel männlicher Phantasien. Frauen galten als hysterisch, falsch, unkreativ und weder zu logischem Denken noch künstlerischem Handeln befähigt (vgl. Möhrmann 18). Sie wiesen darauf hin, dass die formalen Regeln ästhetischen Handelns als Ausschluss von Frauen konzipiert wurden (vgl. Bovenschen 244ff.). Daran schloss die FT an.

FT hatte mit den künstlerisch-kulturellen Konserven männlicher Imaginationen in Form von dramatischen Rollentexten, schauspielpädagogischen Systemen und den hierarchischen Arbeitsweisen der patriarchal strukturierten Institution Theater zu tun (vgl. Möhrmann 345). Das führte 1984 in der Dramaturgischen Gesellschaft zur Gründung der Arbeitsgruppe Frauen im Theater (FiT). In den alternativen Theatern und dem Gruppentheater wurde zwar der kollektiven Arbeitsweise und dem Schauspieler gegenüber dem Regisseur mehr Gewicht eingeräumt, es dominierten trotzdem die Männer. 1986 wurde von Frauen das internationale Magdalena Projekt mit Sitz in England gegründet. ,FiT‘ wie ,Magdalena Projekt‘ führten mit Theaterfrauen aller Sparten eigene Theaterprojekte durch, gründeten Laboratorien zur Forschung und Fortbildung. Dem ,männlichen Blick‘ stellten sie den ,weiblichen‘ gegenüber, um sich aus der Bevormundung zu befreien.

1990 fand an der Akademie Remscheid für Kulturelle Bildung die erste Fachtagung zur FT mit Frauen aus allen Bereichen der kulturellen Bildung, sozialen Kulturarbeit, freien Theaterszene und autonomen Frauenprojekten statt. Die Eingangsreferate und Projektberichte (vgl. Martens 1992) machten deutlich, dass auch in pädagogischen Projekten ,Spurensuche‘ nach theatralem Ausdruck von Frauen, ebenso wie ,kritisches Schürfen‘ nach für Frauen Brauchbarem im ästhetischen und pädagogischen Erbe betrieben werden musste (Martens 1989, 279), da nichts unhinterfragt übernommen  werden konnte.

Fem. Theaterpädagoginnen waren in ihren Verbänden und Institutionen isoliert, in denen fem. Forschungsergebnisse ignoriert wurden (vgl. Bockhorst in Martens u. a.). Die Pädagoginnen hatten nicht nur mit Angriffen gegen ihre Unternehmungen, sondern auch gegen ihre Person zu kämpfen.

Die thp Projekte wurden von Frauen seit Anfang der 1980er Jahre in thp Ausund Fortbildungseinrichtungen, VHS, Bildungsstätten der Gewerkschaften, der Kirchen, in Frauenkulturzentren, Jugendeinrichtungen und Ferienfreizeiten durchgeführt. Vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft wurde von 1989 bis 1991 ein Modellprojekt (vgl. Honens u. a.) finanziert. Ausgangspunkt waren Fragen, Erfahrungen, Bedürfnisse der Theaterpädagoginnen wie sexueller Missbrauch, die Rolle als Hausfrau/Mutter, Selbstund Fremdwahrnehmung, Lohn für Hausarbeit, Menstruation/Pubertät, Aufbruch und Entwicklung, das Verhältnis zu Jungen, Berufsentscheidung und Bewerbung.

Körper- und Stimmarbeit richtete die Wahrnehmung der Frauen/Mädchen auf sich selbst, die Deformationen durch männliche Zurichtung kamen in den Blick. Szenische  Improvisation legte Ängste, Bedürfnisse und Verletzungen frei und die Arbeit näherte sich therapeutischen Bereichen; die Auseinandersetzung mit Zitaten zur Rolle der Frau sowie Rollenarbeit zu klassischen Dramentexten (Schürfarbeit) konfrontierte mit männlichen Projektionen und erzwang neue Selbstbilder und anderes, nicht als authentisch erlebtes Verhalten auf der Bühne.

Pädagogische Arbeit zu Identität und Persönlichkeit überwogen, die theatralen Methoden/Formen waren Mittel. Um weibliche Isolation aufzuheben, Solidarität unter Frauen zu stärken, wurde der soziale/kommunikative Charakter des Theaterprozesses genutzt.

Die Theaterpädagoginnen experimentierten mit allem, was sie individuell an Wissen und Können verfügbar hatten und zu realisieren vermochten. ,Spurensuche und Schürfarbeit‘ führten zu neuen Formen, dem postmodernen professionellen Theater nicht unähnlich. Der Schwerpunkt der Arbeit lag jedoch eindeutig auf dem pädagogischen/politischen, selten auf dem künstlerischen Gebiet. Zudem wurde die Rolle der Theaterpädagogin in diesen Projekten kritisch beleuchtet, um männliche Modelle autoritärer und manipulativer Regie/Spielleitung zu überwinden. Der theatrale/pädagogische Prozess wurde als Suchprozess aller gesehen. Das für diese Arbeit angemessene Vorgehen von Anleiten und eigenständig Entwickeln, musste jedes Mal neu gefunden werden. Die komplexe pädagogische Situation, der konkrete Kontext bildeten die Ausgangsbasis. Das ,nicht mehr‘ brauchbare ,Erbe‘ und das ,noch nicht‘ entwickelte ,Eigene‘ machten das Experiment notwendig. Es wurde deshalb kein verbindlicher Kanon bezüglich Arbeitsweisen und ästhetischen Ausdrucksformen angestrebt.

In den 1990er Jahren gab es Bemühungen um Vernetzung und Versuche, praktisch und theoretisch FT voran zu treiben. Es entstanden Frauen- und Mädchenkulturund -theatertage. Es folgten Diplomarbeiten und regionale wissenschaftliche/pädagogische Tagungen. Zwischen den Erkenntnissen und Ansprüchen der fem. Theaterpädagoginnen und den Bedürfnissen ihrer Zielgruppen entstanden jedoch zunehmend Lücken. Die Praxis konnte mit den Ausdifferenzierungen der fem. Diskussion und Forschung nicht mithalten. Selten wurde mit neuen dramatischen Texten von Frauen experimentiert. Der fem. Anspruch wurde an der Basis als elitär kritisiert, reduzierte sich auf pädagogische/soziale Parteilichkeit.

Heute gibt es viele isolierte ThP-Projekte von Frauen für Frauen und Mädchen ohne expliziten fem. Kontext, da die alten Netze aufgelöst sind. Es gibt keine aktive Frauenbewegung mehr, in die diese Arbeit eingebettet sein könnte. Ergebnisse fem. Praxis in Wissenschaft, Kunst, Kultur und Bildung gehen ein in postmoderne Vielfalt. Der Öffentlichkeit und jungen Generation gilt die Frauenfrage als erledigt.

Becker-Schmidt, Regina/Knapp, Gudrun-Axeli: Geschlechtertrennung – Geschlechterdifferenz. Suchbewegungen sozialen Lernens. Bonn 1987; Bovenschen, Silvia: Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische  Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen. Frankfurt a. M. 1979; Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M. 1990; Dies.: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt a. M. 1993; Dietze, Gabriele (Hg.): Die Überwindung der Sprachlosigkeit. Texte aus der neuen Frauenbewegung. Darmstadt, Neuwied 1979; Frauen im Theater (FiT). Dokumentation. [o. O.] 1985; Honens, Gisela/Willerding, Rita: Praxishandbuch feministische Theaterpädagogik. Frankfurt a. M. 1992; Martens, Gitta (Hg.): Feministische Theaterpädagogik. Grundlagen und Projekte. Remscheid 1992; Martens, Gitta/Bockhorst, Hildegard (Hg.): Feministische Kulturpädagogik. Projekte und Konzepte. Remscheid 1989; Möhrmann, Renate (Hg.): Die Schauspielerin. Zur Kulturgeschichte der weiblichen Bühnenkunst. Frankfurt a. M. 1989; Rendtorff, Barbara: Weibliches Prinzip – Weibliche Praxis. Grundlagen für eine feministische Bildungsarbeit. Gießen 1985; Rentmeister, Cillie: Frauenwelten – Männerwelten. Für eine neue kulturpolitische Bildung. Opladen 1985; Roeder, Anke (Hg.): Autorinnen. Herausforderungen an das Theater. Frankfurt

  1. M. 1989; Schultz, Dagmar (Hg.): Ein Mädchen ist fast so gut wie ein Junge, Bd. 1: Sexismus in der Erziehung. Berlin 1979.

GITTA MARTENS