Projekt

Thp Arbeit als künstlerische und soziale Praxis findet im außerschulischen Bereich fast ausschließlich, in der Schule neben Kurs- oder Arbeitsgruppenarbeit zum großen Teil, in Form von P und P-arbeit statt. P- und Theaterarbeit ergänzen sich, da pädagogische und ästhetische Zielsetzungen und Verfahren Hand in Hand greifen. P-arbeit im Theaterbereich heißt, ein klar umrissenes Thema in einem zeitlich begrenzten künstlerischen Produktionsprozess als Gruppenarbeit zu einem präsentablen Ergebnis zu bringen. Künstlerisch-ästhetische P-arbeit unterscheidet sich von pädagogisch-sozialen P in ihrem Fokus auf ein künstlerisches Medium und die davon abgeleitete ästhetische Praxis (vgl. Selle). Dennoch lassen sich in den strukturellen Ablauf- und Planungsschemata Parallelen zu pädagogischen P-verläufen feststellen. Denn P-arbeit als themenzentrierte und ergebnisorientierte Methode gemeinschaftlichen Lernens lässt sich in verallgemeinerbare Phasen wie die fünf Arbeitsphasen oder ,Komponenten‘ nach Frey (1996) einteilen:
(1.) P-initiative (die Idee zu einem P wird geboren); (2.) P-skizze erstellen (Auseinandersetzung mit der P-Projektinitiative in einem vorher vereinbarten Rahmen); (3.) P-plan (Entwicklung der P-initiative zum Betätigungsfeld, d. h. Thema, Arbeitsvorhaben, Arbeitsschritte, Betätigungsfelder abstimmen); (4.) P-durchführung (Realisierung der geplanten Aktivitäten); (5.) Beendigung des P (bewusster Abschluss des P als Ergebnispräsentation).

Das schließt in den einzelnen Phasen unterschiedliche Formen der sachlichen und sozialen Interaktion ein, um die Interessen und Fähigkeiten der Beteiligten einzubeziehen, und endet mit einer Evaluation nach Abschluss des P.

P-arbeit zeichnet sich seit Deweys und Kilpatricks Laborschule der 1920er Jahre und ihrer Wiederentdeckung in Europa in den 1970er Jahren als besondere, das schulische Lernen reformierende Lernmethode aus, die im Sinne von learning by doing dialogisches, selbstbestimmtes und tätigkeitsorientiertes Lernen fordert und fördert. Folgende Merkmale charakterisieren seit den 1970er Jahren das P als Lehr- und Lernmethode (vgl. Otto) und sind in der aktuellen schulpädagogischen P-debatte weithin akzeptiert (vgl. Bastian u.a. 1986; Bastian u.a. 1997): Bedürfnisorientierung, Situationsbezug, Selbstorganisation, Interdisziplinarität, Produktorientierung, kollektive Realisierung und gesellschaftliche Relevanz.

Anhand dieser P-merkmale lassen sich die Möglichkeiten und Chancen der P-arbeit für die thp Arbeit charakterisieren: (1.) Das P als ganzheitliche Lernform verbindet inhaltlich-thematisches, soziales und sinnlich-ästhetisches Lernen. In der Auseinandersetzung mit Thema und künstlerischem Medium laufen vielfältige Selbst-, Differenz-, Gruppen- und Bildungserfahrungen ab. Im Theaterprojekt beweist sich Theater als die soziale Kunstform. (2.) Das P stärkt durch seine Interessen- und Situationsorientierung den Einzelnen  und  die  Gruppe  und  fordert  bzw.  fördert durch seine kollektive Realisierung Kreativität, Solidarität und Selbstorganisation. (3.) Das P führt Denken und Tun, Wahrnehmen und Gestalten handlungsorientiert zusammen. Thematische und dramaturgische Erwägungen werden durch theaterpraktische Versuche ergänzt und reflektiert, bis ein aussagekräftiges szenisches Produkt entsteht (learning by doing). (4.) Das P, insbesondere das Theaterprojekt, zeichnet sich durch Interdisziplinarität aus, da neben den verschiedenen künstlerischen Medien und Elementen wie Musik, Bühnenbild, Tanz, Neue Medien auch pädagogisch-soziale und kommunikative Wirkungen thematisiert und bedacht werden. (5.) Das P als ästhetische Produktionspraxis vermittelt Einblicke in den künstlerischen Arbeitsprozess und subjektive Bildungserfahrung zugleich. Spielerisches Experimentieren, Selbst- und Fremderfahrung in der Gruppe, Weltaneignung, also die theaterspielend erreichbaren Bildungsziele, werden intensiver vergegenwärtigt, wenn es  nicht  nur  um  das  Spiel,  sondern  auch  um  das Gestalten eines Kunstprodukts geht, das wiederum Mitteilungscharakter hat und somit Ausdrucksverhalten und Kommunikation schult. (6.) Das P ist für die thp Arbeit und Vermittlung ideal, da Gegenstand (das künstlerische Medium), Arbeitsweise (kollektive Gruppenarbeit) und Vermittlung integrativ und nicht losgelöst voneinander erfahren werden. Durch das Theatermachen können die sozialen und didaktischen Möglichkeiten des Theaters selbst erfahren und vermittelt werden. Die im P angelegte Arbeits- und Lernintensität, Ernsthaftigkeit und Motivation werden durch die Produktionsorientierung gebunden, da das Lernen nicht Selbstzweck bleibt, sondern durch die Aufführung Öffentlichkeit herstellt und kulturelle Partizipation ermöglicht; von gesellschaftlicher Relevanz kann in Bezug auf Themen und Öffentlichmachung geredet werden. (7.) Darüber hinaus – neben der individuellen Ausdrucksschulung, dem sozialen Lernen und der ästhetischen Praxis – stellt das P ein didaktisches Modell dar, wie schulische und außerschulische Theaterarbeit an der Hochschule und in der Fort- und Weiterbildung vermittelt werden kann.

Zahllose Beispiele aus der schulischen und außerschulischen Theaterprojektarbeit belegen die Relevanz der Lern- und Arbeitsform P für den thp Bereich. Nach dem Lehrlingstheater der 1970er Jahre und dem Theater der Erfahrungen ab den 1980er Jahren findet sich heute eine differenzierte P-arbeit mit vielfältiger Themen- und Zielgruppenorientierung (Jugend-, Senioren-,  Obdachlosen-,  Behinderten-,  Gefängnistheater usw.).

Als Beispiel für ein universitäres Lehr- und Lernprojekt mit bis zu 100 Studierenden, die ein gemeinsames Theater-Großprojekt realisieren, lässt sich das Psemester des Studiengangs Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis der Universität Hildesheim anführen. Themen waren u. a. Franz Kafkas Amerika, Goethes Faust II, Babylon, Theatertheorie szenisch. Das P gliedert sich in vier Phasen: eine Vorbereitungsphase, eine Produktionsphase, eine Aufführungsphase und eine Nachbereitung.

In der Vorbereitungsphase, die über ein Jahr währt, wird die P-idee geboren und vorstrukturiert. Die Lehrenden und diplomierte oder höhersemestrige Studierende, die dann als GruppenleiterInnen fungieren, besprechen Thema und Auswahl der Texte. Der Gegenstand, ein Thema, ein Stoff, ein Stück oder Roman, soll künstlerisch und wissenschaftlich anspruchsvoll genug sein, um den erheblichen Einsatz von Arbeits- und Lebenszeit zu rechtfertigen.

Die Produktionsphase dauert zehn Wochen mit drei P-tagen pro Woche. Jede Arbeitsgruppe (ca. 10 bis 12 Studierende) setzt sich aus Menschen mit unterschiedlichen Talenten und Vorerfahrungen zusammen. Alle anfallenden Arbeiten der wissenschaftlich-dramaturgischen Textaufbereitung, der Entwicklung eines von den Gruppenleitern vorstrukturierten Spielkonzepts, der szenischen Erarbeitung und Gestaltung eines Produkts, der Raum-, Licht-, Kostümgestaltung und der allgemeinen P- und Aufführungsorganisation werden vom Kollektiv diskutiert und realisiert. Nicht die herausragende Einzelleistung zählt und trägt, sondern die ,herausragende Gruppenleistung‘.

Die Aufführungsphase fordert und fördert eine quasiprofessionelle Einstellung und Leistung. An 14 Abenden zwei Aufführungen pro Abend vor zahlender Öffentlichkeit zu spielen, vermittelt trotz Schonraum Universität einen Einblick in das Theatergeschäft und rechtfertigt in der künstlerischen und individuellen Erfahrung und Bestätigung der P-teilnehmer den Arbeitsaufwand.

In der Nachbereitung wird sowohl der Arbeitsprozess als auch das künstlerische Produkt, vor allem aber die Vermittlungs- und Lernsituation P-semester kritisch diskutiert und ausgewertet und produktionsorientierte Theaterarbeit zeichnen sich dadurch aus, dass sie neben einem präsentablen Ergebnis für alle Beteiligten Lernerfahrungen schafft, die weit über das Produkt hinausreichen. Das Ergebnis, das als Theaterkunst wirken muss, ist Ergebnis einer Gruppenarbeit, die die einzelnen Gruppenmitglieder über adäquate Themen, Ästhetik und Arbeitsweise Die Lernerfahrungen sind theaterpraktischer, theaterästhetischer, sozialer und kommunikativer Art.

In diesem Sinne umfasst produktionsorientierte Theaterarbeit den ganzen Weg der künstlerischen Arbeit von der Auswahl und dramaturgischen Strukturierung des Materials, der Er- und Bearbeitung des Materials als Gruppenarbeit, den sozialen Interaktionen dabei bis zur Formung eines ästhetischen Produkts und zur Realisierung einer Aufführung. Erst mit der Präsentation und Evaluation kommen das P und die ästhetische Erfahrung zum Abschluss (vgl. Dewey).

P als Lernform und ästhetische Praxis verbindet Pädagogik und Kunst. Theaterprojektarbeit wirkt dann pädagogisch, wenn sie künstlerisch ernst genommen wird. Im P löst sich das Paradox der Kunstvermittlung zeitweise auf. Kunst und Pädagogik beziehen sich aufeinander, ohne sich künstlerisch zu begrenzen oder pädagogisch vereinnahmen zu lassen. Die didaktischen Möglichkeiten der Theaterprojektarbeit, das Lernen mit und durch Theater in Schule, Ausbildung und ThP sind noch längst nicht ausgeschöpft.

Bastian, Johannes/Gudjons, Herbert (Hg.): Das Projektbuch. Hamburg 1986; Bastian, Johannes/Gudjons, Herbert/ Schnack, Jochen/Speth, Martin (Hg.): Theorie des Projektunterrichts. Hamburg 1997; Dewey, John: Kunst als Erfahrung. Frankfurt a. M. 1988; Ders./Kilpatrick, William Heard: Der Projekt-Plan. Weimar 1935; Frey, Karl: Die Projektmethode. Der Weg zum bildenden Tun. Weinheim, Basel 1996; Gromes, Hartwin/Kurzenberger, Hajo (Hg.): Theatertheorie szenisch. Reflexion eines  Theaterprojekts. In: Medien und Theater, Bd. 8. Hildesheim 2000; Otto, Gunter: Das Projekt. Merkmale und Realisationsschwierigkeiten einer Lehr-Lern-Form. In: Kaiser, Annemarie/Kaiser, Franz-Josef (Hg.): Projektstudium und Projektarbeit in der Schule. Bad Heilbrunn 1977; Selle, Gert: Das ästhetische Projekt. Plädoyer für eine kunstnahe Praxis in Weiterbildung und Schule. Unna 1992; Sting, Wolfgang: Hamlet – der Stoff für ein theaterpädagogisches Projekt. In: Korrespondenzen, 1997,  H. 28/29.

WOLFGANG  STING

Didaktik  –  Ensemble  der  Künste  –  Experiment  – Geschichte der Pädagogik – Hochschuldidaktik – Methodik – Reformpädagogik – Vor- und Nachbereitung