Rezensionen von theaterpädagogischen Auffürungen

Ein mangelndes Interesse an thp Aufführungen durch eine kritisch-vermittelnde Öffentlichkeit (Presse) lässt sich nicht feststellen. Im Überblick sind zwei Haupttendenzen im Rezensionswesen der regionalen Presse auszumachen: (1.) Lokalredaktionen produzieren eher reportagenhafte Berichte, die sich aber selten wertend mit der Gruppe oder dem zu besprechenden Projekt auseinandersetzen. Oder (2.) die Kulturredaktionen senden freie Mitarbeiter, die – wenn sie es überhaupt tun und sich nicht hinter die Inhaltlichkeit des ,Was hat stattgefunden?‘ zurückziehen – die gesehene Aufführung nach künstlerischen Kategorien bewerten. Dabei liegt die Gefahr nahe, dass dabei unbewusst die Wertungskriterien für das professionelle Theater auf dieses Genre übertragen werden, ohne dabei die thp Voraussetzungen des jeweiligen Projekts zu reflektieren. Beide Formen der Berichterstattung lassen Spielleiter und ihre Ensembles oft unbefriedigt. Im ersten Falle, in dem auf eine Wertung des Gesehenen verzichtet wird, erscheint die eigene Arbeit zu wenig gewürdigt; im zweiten – besonders, wenn Defizite in der künstlerischen Umsetzung wahrgenommen werden – erscheint in den Rezensionen der thp ,Projektgedanke‘ zu wenig berücksichtigt. Zwei Argumentationsfiguren werden dabei von den Spielleitern benutzt: Auf der Ebene der Rollenerarbeitung wird immer wieder darauf verwiesen, dass man sehen müsse, welche Fortschritte mit den Spielern im Verlauf eines Probenprozesses bis hin zur Aufführung erreicht worden seien. Auf der Ebene des Projekts werde von den Kritikern zu wenig berücksichtigt, dass man doch den Entstehungsprozess in die Rezension miteinbeziehen müsse. So berechtigt diese Kritik auch aus thp Sicht erscheint, so zeichnet sich doch darin auch ein Defizit in deren Überlegungen über den Status einer Aufführung ab. Denn in diesen Argumentationsfiguren spiegelt sich zugleich der prinzipielle Dualismus thp Arbeit zwischen projekt- oder produktbezogener Arbeit. Eine Aufführung nimmt aber grundsätzlich den Status eines Produkts an, in dem das ,Projekt‘ aufgehoben ist, zumal, wenn es über den Rahmen der Institution hinaus eine Öffentlichkeit erreichen will. Damit entfällt der Schirm eines pädagogischen Schutzraums und ästhetische Wertungskriterien können  angewandt werden.

Es scheint innerhalb der thp Szene zu wenig Bewusstsein darüber zu bestehen, dass auch eine thp Aufführung – insbesondere, wenn veröffentlichte Theatertexte inszeniert werden – innerhalb einer Aufführungstradition situiert ist, d. h. ihre Konzeption innerhalb einer Geschichte von professionellen und thp  Aufführungen  (insbesondere  auch  des  Schultheaters) steht. Damit können die berühmten WFragen des Was, Wie und Warum in Anwendung gebracht werden, im übrigen Fragen, die jeder Theaterpädagoge für seine Arbeit zum Maßstab verantwortlichen Handelns macht.

Andererseits wird jeder Rezensent, der seine Tätigkeit ernst nimmt, sich fragen, inwieweit sich in der zu besprechenden Aufführung die Lebenswirklichkeit der Spielenden widerspiegelt. Mit dieser Fragestellung ist impliziert, dass weniger die einzelne Rollenarbeit im Zentrum einer thp Rezension steht. Allerdings findet sich in einer großen Anzahl von Kritiken – insbesondere von Jugendclubaufführungen – gerade eine solche professionelle Schauspielerkritik. Nicht zufällig spiegeln sich in dieser auch die Intentionen ihrer thp Macher, die in ihrer Arbeit professionelle Maßstäbe anlegen, wie sich insbesondere in Produktionen zeigt, die mit gezielten Castings eine typengerechte Besetzung anstreben.

Aufführungen hingegen, die nicht vom künstlerischen Ehrgeiz ihrer Macher geprägt sind, gehen von der Gruppe der Spielenden selbst aus. Hier steht der kollektive Spielprozess im Zentrum. Für einen Rezensenten sind solche Aufführungen insofern ,schwerer‘ zu besprechen, als er nachspüren muss, wie die Gruppe zu ihrem Thema gekommen ist. In dieser Fragestellung spiegelt sich nicht nur die Suche nach der Authentizität der gewählten Themen und Formen, d.h. in wie weit sich in der Aufführung die wirklichen Interessen und Erfahrungen der Spieler spiegeln, sondern ebenso, in wie weit in der Aufführung die Integration des einzelnen Spielers in die Gruppe geglückt ist. Für diese thp Form der Theaterarbeit ist es dabei gleichgültig, ob ein Stück oder ein selbst entwickeltes Projekt zur Aufführung kommt: In beiden Fällen steht die Frage nach dem Arbeitsprozess im Zentrum. Da aber ein Rezensent nicht an diesem Probenprozess teilhaben kann, sondern das ,Produkt‘ zu besprechen hat, bleibt ihm häufig nur übrig, sich entweder auf eine Kritik der Konzeption zu konzentrieren oder aber sich auf eine Beschreibung der gewählten Formen – oft thp Übungsfolgen, die der Aufführung eine Form geben – und Texte zu beschränken und nur dort eine Wertung einzuschieben, wo offensichtlich eine Gruppe von ihrem Spielleiter über- oder unterfordert oder die Aufeinanderfolge thp Spielformen dramaturgisch mangelhaft miteinander  verknüpft wurde.

Gleichgültig, ob als Abfolge revuehaft strukturierter Szenen oder ob als auf die Möglichkeiten der Gruppe zugeschnittene Adaption eines Stücks, vermitteln die in der Gruppe selbst entwickelten Projekte sich innerhalb der medialen Strukturen des Theaters: Texte, Licht, Bewegung, musikalische und visuelle Strukturen prägen auch thp Aufführungen. Zu wenig wird dabei oft die dramaturgische Verknüpfung verschiedener Textsorten und thp Ausdrucksformen reflektiert. Aber selbst, wo ein Projekt sich in der Abfolge assoziativ strukturierter Szenen organisiert, muss ja die Spannung und das Interesse des Publikums auf das ,Produkt‘ gerichtet und damit eine Art dramaturgischer Leitfaden gesponnen werden – und hier tun sich in der Tat kritikwürdige Punkte auf, die darauf zurückzuführen sind, dass der Transfer von der Selbsterfahrung einer Gruppe zu einer geformten Geschichte für den Zuschauer nicht gelingt. Sicher muss hier nun konstatiert werden, dass die Mehrzahl der Rezensionen thp Aufführungen in der Regionalpresse gar nicht erst zu diesen Fragestellungen vordringt, sondern sich hinter der Beschreibung von Inhalten versteckt.

Aber auch hier gilt, ähnlich den Erfahrungen der Kinder- und Jugendtheater, dass Theaterpädagogen nicht nur ihr Publikum, sondern auch ihre Kritiker erziehen können – durch die Kontinuität ihrer Arbeit und durch informierende Hintergrundberichte. Dabei ist nicht zu übersehen, dass das Theaterrezensionswesen in der regionalen Presse allgemein reduziert wird. Oft werden nur noch vierzig bis sechzig Druckzeilen für eine Inszenierung von den Redaktionen zur Verfügung gestellt, ein Platz, der kaum genügen kann, alle aufgezeigten Fragestellungen zu berücksichtigen (aber dies betrifft nicht nur thp Aufführungen, sondern das Theater allgemein). In der überregionalen Presse finden sich kaum Berichte über thp Aktivitäten. In den Fachzeitschriften hingegen lassen sich oft zusammenfassende Berichte über Theatertreffen (Theatertreffen der Jugend, Schultheater der Länder, Bundestreffen der Jugendclubs) lesen, in denen neben der Besprechung von einzelnen Aufführungen zugleich grundsätzliche Fragen thp Diskussion aufgegriffen werden.

Jahnke, Manfred: Lassen sich Jugendclub-Aufführungen rezensieren? In: Ders.: Kinder- und Jugendtheater in der Kritik. Frankfurt a. M. 2001.

MANFRED JAHNKE

Jugendclubs an Theatern – Prozess und Produkt – Recherche – Rhetorik – Texte und Autoren – Theaterarbeit in sozialen Feldern