Sprachtherapie

Im Laufe des 20. Jhs. ging die S aus verschiedenen Strömungen hervor. Seit 1916 entwickelte sich im Zuge der → Reformpädagogik die ganzheitlich orientierte, körperlich, geistige und künstlerische Aspekte einbeziehende Atem-, Sprech- und Stimmtherapie nach Schlaffhorst–Andersen und aus dem medizinischen Bereich heraus in den 1960er Jahren die Logopädie. Die Sprachheilpädagogik etablierte sich seit den 1970er Jahren als eigenständiges Fach aus dem Studienfach Pädagogik.

S im engeren Sinne kann nur von TherapeutInnen aus jenen Berufsgruppen durchgeführt werden, die von den Krankenkassen dazu autorisiert sind. Neben den oben genannten Berufsgruppen gehören in eingeschränktem Maße außerdem die Sprachheillehrer, klinischen Sprechwissenschaftler und die klinischen Linguisten dazu. Erkrankungen der Sprache, des→ Sprechens und der Stimme stehen im Zentrum der Therapien. Kinder mit Problemen in der korrekten Lautbildung (Dyslalie) oder der allgemeinen Sprachentwicklung (u. a. Dysgrammatismus) sowie PatientInnen mit Sprachstörungen nach Schlaganfallserkrankungen (u.a. Aphasie) bilden die größte PatientInnengruppe. Menschen mit Stimmerkrankungen (Dysphonien) sowie stotternde Kinder, Jugendliche und Erwachsene (Balbuties) sind ebenfalls häufig in den Praxen vertreten. Die verschiedenen Ausbildungsgänge sowie die Akzeptanz der Krankenkassen gegenüber einzelnen Berufsgruppen sind Wandlungen unterworfen. Die aktuellen Informationen können über das Internet bei den jeweiligen Berufsverbänden erfragt werden. Ein kurzer Überblick über die verschiedenen Berufsgruppen findet sich unter www.sprachheilpaedagogik.de. Eine Verbindung zwischen ThP und S wird im Folgenden in Bezug auf Therapiemethoden und auf Ausbildungsaspekte hergestellt. Aus der Vielzahl von therapeutischen Feldern sind die beiden folgenden in ihrer Verbindung zur ThP im engeren Sinne relevant: die Stimmtherapie und die Therapie von Kommunikationsstörungen (hier vor allem die Stottertherapie). Stimmtherapie ist in allen sprecherischen/sängerischen Berufen dann sinnvoll, wenn – unabhängig von allgemeinen Stimmerkrankungen – die berufsspezifischen gestalterischen Anforderungen stimmlich nicht zu bewältigen sind. Auch TheaterpädagogInnen können in ihren stimmlichen Ausdrucksfähigkeiten deutlich beeinträchtigt sein. Die Stimme klingt u. U. heiser, verhaucht oder ermüdet nach längerem Sprechen. Eventuell ist sie nicht flexibel genug, um ausdrucksvoll in Höhen und Tiefen variieren zu können; sie wirkt brüchig oder monoton. Halsschmerzen, das ständige Bedürfnis, sich zu räuspern und allgemeine Abgespanntheit können die Folge sein, ohne dass notwendigerweise ein organischer Befund vorliegt. Durch gezielte und möglichst individuell abgestimmte Stimmarbeit können gestalterische Intention mit körperlicher Flexibilität unter Einbeziehung der Koordination von Stimme, Atmung und Artikulation verbunden und trainiert werden. Die Anforderungen an Dynamik, Lautstärke, Ausdruckskraft usw. können so mit physiologisch schonender Stimmfunktion in Einklang gebracht werden. Konzeptionell zur Verfügung stehen für diese Form der Stimmtherapie vor allem integrative Methoden. Zu nennen sind die funktionale Stimmbildung (vgl. Rohmert) und die Atem-, Sprech- und Stimmtherapie nach Schlaffhorst–Andersen (vgl. Saatweber). Spezifisch sind hier u. a. jeweils die Verbindung von sprecherischer und sängerischer Arbeit. Marianne Spiecker-Henke stellt in Leitlinien der Stimmtherapie die Stimme in ihrer Vernetzung mit Anatomie, Emotion, Persönlichkeitsstruktur oder umgebender Welt dar. Im Rahmen der unterschiedlichen Ausbildungen stehen einzelne dieser Konzepte im Mittelpunkt, wie z. B. das sprecherzieherische Konzept nach Coblenzer/Muhar oder das psychologisch orientierte Konzept  von Stengel/Strauch.

Die Therapie von Kommunikationsstörungen (Poltern, Mutismus und Stottern): Während die Stimmtherapie unterstützende Maßnahmen für TheaterpädagogInnen bereithält, verhält es sich hier konzeptionell umgekehrt. Es gibt therapeutisch relevante Verfahren, insbesondere die Stottertherapie nach van Riper, in deren Verlauf in der Regel unspezifisch verwendete Rollenspielverfahren eingesetzt werden. Diese dienen dazu, den stotternden Menschen auf Übungen ,in vivo‘ (im wirklichen Leben) vorzubereiten. Telefongespräche, Restaurantbesuche usw. werden dafür zunächst im Schutz einer therapeutischen Praxis geprobt. Je nach individuellem Vermögen der TherapeutInnen – meist ebenfalls unspezifisch – kann → Rollenspiel in allen SBereichen zum Einsatz kommen. In der Kindersprachtherapie kann dies etwa zur Festigung eines Lautes als Rollenspiel ,Einkaufen‘ stattfinden. Der sprachgestörte Aphasiepatient erlernt möglicherweise nonverbale Verständigungsmethoden, um sich pantomimisch zu verständigen.

Eine dritte Verbindung zwischen ThP und der S existiert im Bereich der sprachtherapeutischen Ausbildungen. Auch hier kommen meist unspezifische thp Methoden zur Anwendung: In Rollenspielen werden vor allem die für die Kinder-S/Aphasietherapie notwendigen Eltern- und Angehörigengespräche geübt. Thp Methoden finden z. T. auch beim Erlernen von Kommunikationsmodellen für den späteren Umgang mit PatientInnen ihren Platz.

Unter dem Gesichtspunkt der Verbindung von ThP und den S-Berufsgruppen nehmen die Atem-, Sprech- und StimmlehrerInnen eine besondere Rolle ein. In der Stimmausbildung werden medizinisch-physiologische Kenntnisse mit künstlerisch ambitioniertem Gestaltungsund Ausdruckswillen verbunden. Das Hauptaugenmerk liegt auf der ganzheitlichen körperlichen Sprech- und Stimmgestaltung. Körperlichkeit – Rhythmus, Atembewegung, Ganzkörperspannung – wird in ihrer Verbindung zur Stimmund Artikulationsbewegung ausgelotet. Der einzelne Laut/Ton wird über das Wort/Lied je nach Anliegen therapeutisch wirkend und/oder gestalterisch intentional zum Ausdruck gebracht. Dieser Zugang hat in der Atem-, Sprech- und Stimmausbildung große Bedeutung.

S, die sich im letzten Jh. aus medizinischen, pädagogischen und künstlerischen Quellen entwickelt hat, hat zu einem eher unübersichtlichen Neben- und Miteinander verschiedener Berufsgruppen geführt. Es gibt Bestrebungen, diese Pluralität sinnvoll zu strukturieren. Eine Einbeziehung von thp Kompetenzen wäre sinnvoll, ist berufspolitisch jedoch nicht in unmittelbarer Aussicht, da die Zulassung bei Krankenkassen im Mittelpunkt steht.

Coblenzer, Horst/Muhar, Franz: Atem und Stimme. Anleitung zum guten Sprechen. Wien 2002; Riper, Charles van: Die Behandlung des Stotterns. Köln 1999; Rohmert, Gisela: Grundzüge des funktionalen Stimmtrainings. Köln 1989; Saatweber, Margarete: Einführung in die Arbeitsweise Schlaffhorst–Andersen. Atmung, Stimme, Sprache, Haltung und Bewegung in ihren Wechselwirkungen. Idstein 1994; Spiecker-Henke, Marianne: Leitlinien der Stimmtherapie. Stuttgart 1997; Stengel, Ingeburg/Strauch, Theo: Stimme und Person. Personale Stimmentwicklung, personale Stimmtherapie. Stuttgart 1996.

www.dba-ev.de: Deutscher Bundesverband der Atem-, Sprech- und StimmlehrerInnen e. V. (dba); www.dbl-ev.de: Deutscher Bundesverband für Logopädie e. V. (dbl); www.dbs-ev.de: Deutscher Bundesverband der Sprachheilpädagogen e. V. (dbs); www.dgs-ev.de: Deutsche Gesellschaft für Sprachheilpädagogik e. V. (dgs);www.bundesverband-klinische-linguistik.de: Bundesverband Klinische Linguistik (BKL); www.dgss.de: DGSS – Deutsche Gesellschaft für Sprechwissenschaft e. V.

ALKE BAUER

Atmung   –   Bewegungserziehung   –   Rhetorik   – Sprecherziehung – Theatertherapie